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Epochal oder katastrophal? Am Pandemiepakt der WHO scheiden sich die Geister

Der Bundesrat verhandelt im Rahmen der WHO über ein umstrittenes Pandemieabkommen.
Ob er das Parlament mitreden lässt, ist offen.

29.04.2023, 05.30

Epochal oder katastrophal? Am Pandemiepakt der WHO scheiden sich die Geister

Dank Kooperation soll die Welt künftig besser gerüstet sein im Pandemiefall.
Im Bild: Betrieb im Notfall des Universitätsspitals Zürich unter Corona-Bedingungen, aufgenommen im Januar 2022.

Anfang Jahr berichtete Radio SRF über ein Thema, das hierzulande noch keines ist. Es geht um den Pandemiepakt, über den die 194 Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation (WHO) miteinander verhandeln. Der Tenor des Radiobeitrags war höchst positiv. Die Corona-Pandemie habe gezeigt: «Wenn jeder für sich sein Süppchen kocht, wird es schwierig mit der Zusammenarbeit.» Der Pandemievertrag verpflichte die Staaten zur Kooperation und wolle die Welt besser für künftige Gesundheitskrisen rüsten. Die Zürcher Völkerrechtlerin Helen Keller bezeichnete das Vorhaben im Radiobeitrag als einen «epochalen Vorgang». Der Vertrag sei «clever aufgebaut» und «vor allem auch dynamisch». Einmal in Kraft, könne er erweitert werden, ohne dass es dazu Einstimmigkeit brauche.

Wenig später informierte die «Weltwoche» über das WHO-Abkommen, und der Tenor war höchst negativ. Von einem «Pandemiepakt gegen die Völker» war die Rede: «Wenn alles kommt wie geplant, wird die WHO künftig über Gesundheitsmassnahmen in allen Mitgliedstaaten inklusive der Schweiz entscheiden», hiess es dort. Die WHO würde nicht mehr nur Empfehlungen abgeben wie heute, sondern zwingende Befehle für alle, die das Abkommen unterzeichneten.

Ehrgeiziger Zeitplan

Was stimmt? Ist der «epochale Vorgang» die nötige internationale Reaktion auf die Probleme, die sich im Umgang mit Corona manifestiert haben? Oder führt er zu einer gefährlichen Machtballung bei der WHO? Klar ist, dass die Regierungen und Führungsspitzen einen ehrgeizigen Zeitplan haben. Der Pakt, über den seit letztem Jahr verhandelt wird, soll bereits im Mai 2024 verabschiedet werden. Er soll «legally binding» sein, rechtsverbindlich für alle Länder, die ihn unterzeichnen.

Inzwischen liegt ein konkreter Vertragsentwurf vor. Er umfasst 32 Seiten und wird mit Bekenntnissen zu kollektiver Solidarität, Fairness, Inklusion, Gender, Nachhaltigkeit und Klima eingeleitet. Im Vordergrund stehen wirtschaftliche Interessen wie der Zugang zu medizinischen Produkten und deren Verteilung zwischen reichen und armen Ländern und die Handhabung des Patentschutzes während einer Pandemie. Es geht um den Austausch von Informationen und Technologien, um Frühwarnsysteme, die Stärkung des Gesundheitswesens oder die Sicherung der globalen Lieferketten.

Weiteres Thema sind die Finanzen. Jedes Land soll mindestens fünf Prozent seiner Gesundheitsausgaben für die Prävention und einen noch nicht beschlossenen Anteil für die internationale Kooperation, namentlich zugunsten von Entwicklungsländern, ausgeben müssen. Die Staaten müssen sich zudem verpflichten, mit allen Mitteln gegen «irreführende» Informationen vorzugehen und unter anderem Impfskepsis in der Bevölkerung zu bekämpfen. Weiter soll ein globales Instrument zur Entschädigung von Impfopfern eingeführt werden. Daneben werden mit dem Pakt auch neue Organe geschaffen, darunter eine Exekutivstelle, in deren Kompetenz es liegt, neue rechtliche Instrumente zu beschliessen. Was darunter zu verstehen ist und in welchem Rahmen sich diese Instrumente bewegen dürfen, geht aus dem Text nicht hervor.

Weisse Flecken – viele Gerüchte

Wer den Vertragsentwurf durchliest, dem fallen vor allem die vielen weissen Flecken auf. Welche Konsequenzen der Pakt für die einzelnen Länder konkret hätte, ist schwer abzuschätzen. Und so ist es nicht erstaunlich, dass zahlreiche Gerüchte die Runde machen. Kritiker befürchten, dass die WHO bei einer nächsten Pandemie Lockdowns oder Ausgangssperren vorschreiben oder eine globale Impfpflicht einführen könnte. National eigenständige Wege, wie sie etwa Schweden oder zum Teil die Schweiz während der Corona-Zeit gegangen sind, würden gefährdet, heisst es warnend. Wenig zur Beruhigung trägt bei, dass die WHO stark auf die Gelder von privaten Sponsoren angewiesen ist, was Fragen zu ihrer Unabhängigkeit aufwirft.

Das seien alles Verschwörungstheorien, kommt es von der Gegenseite. Die Corona-Pandemie habe deutlich gemacht, dass es einen weltweiten Standard für die Gesundheitsvorsorge brauche, um besser auf künftige Pandemien vorbereitet zu sein und koordiniert reagieren zu können. Die Sorge, dass der Pandemiepakt die nationale Souveränität schwäche und die WHO über Gebühr stärke, sei falsch. Tatsächlich betont der Vertragsentwurf mehrfach die Souveränität der Staaten bei der Pandemiepolitik, allerdings weist er gleichzeitig der WHO die zentrale Rolle in diesem Bereich zu.

Die SVP fragt, Berset schweigt

Im Parlament gab es bisher nur vereinzelte Anfragen zum Pandemiepakt, und zwar aus den Reihen der SVP. Ihre Vertreter befürchten, dass der Bundesrat Ähnliches vorhat wie beim Uno-Migrationspakt, und plant, das WHO-Abkommen an Parlament und Volk vorbei zu unterzeichnen. Gesundheitsminister Alain Berset lässt sich diesbezüglich kaum in die Karten blicken. Nach dem weiteren Vorgehen gefragt, sagte er im Nationalrat: «Erst wenn der Inhalt und die Rechtsnatur abschliessend geklärt sind, kann festgelegt werden, wer die Entscheidkompetenz zum Vertragsabschluss hat – der Bundesrat oder das Parlament.»

Nicht befriedigt von solchen Antworten ist der SVP-Parlamentarier Franz Grüter. Der Bundesrat müsse die Öffentlichkeit über den im Aufbau befindlichen Pandemiepakt informieren, fordert er. In der Vergangenheit habe die Schweizer Bevölkerung mehrmals erleben müssen, dass der Bundesrat und auch das Parlament versucht hätten, Abkommen ohne jegliche Diskussion und erst recht ohne Aufklärung und Mitsprache des Souveräns in Kraft zu setzen, sagt Grüter, der die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates präsidiert. Beim Pandemiepakt brauche es in jedem Fall eine demokratische Mitsprache. Sorge macht dem Aussenpolitiker, dass bei den Verhandlungen derart aufs Tempo gedrückt werde, während das Thema hierzulande noch kaum präsent sei.

Einbezug des Parlaments ist offen

Für die Schweiz am Verhandlungstisch sitzt Botschafterin Nora Kronig. Sie leitet die Abteilung Internationales im Bundesamt für Gesundheit. Für die Schweiz stehen laut Kronig zwei Punkte im Vordergrund. Erstens solle das Pandemieabkommen die Staaten dazu bringen, sich für mögliche neue Gesundheitskrisen besser zu rüsten. Und zweitens müsse der internationale Austausch über das Auftauchen neuer Erreger garantiert sein; dies sei für die Schweiz nicht verhandelbar.

Nun sind es nicht in erster Linie diese Punkte, die für Befürchtungen sorgen, sondern die Frage, welche Kompetenzen der WHO übertragen werden. Könnte der Pandemiepakt beispielsweise die Basis sein für ein globales Impfzertifikat? Laut Kronig wäre es grundsätzlich denkbar, dass die WHO ein solches Zertifikat entwickelt. Allerdings könne sie den einzelnen Staaten keine Vorschriften machen, welche Massnahmen diese bei einer Pandemie zu ergreifen hätten. Das wolle niemand: «Die Verantwortung für die Gesundheitspolitik bleibt bei den Mitgliedstaaten. Als souveräner Staat wird die Schweiz darum weiterhin selbst über allfällige Massnahmen entscheiden.»

Derzeit sei offen, in welche Richtung es mit dem Abkommen gehe und ob es tatsächlich schon 2024 verabschiedet werden könne, sagt Kronig. Die Verhandlungen seien kompliziert. Ob – und falls ja, wann – das Parlament und eventuell das Volk einbezogen wird, hängt laut der Botschafterin davon ab, wie das Abkommen am Ende aussieht und welche Verpflichtungen sich allenfalls aus ihm ergeben. Im Moment lasse sich nur so viel sagen: «Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist.» Die Schweiz werde wie gewohnt erst nach Abschluss der Verhandlungen über das weitere Vorgehen entscheiden.

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